STEFAN
SERBIEN
28 JAHRE
„Wie wir die Vergangenheit analysieren, bestimmt unsere Zukunft.“
Stefan wurde in Pristina, Kosovo, als Jüngster von vier Brüdern geboren. Während seine Geschwister in der Grundschule waren, schlich er sich manchmal in ihr Zimmer, um ihre Bücher zu durchblättern. Ein Gegenstand hatte seine besondere Faszination: ein geografischer und historischer Atlas.
Stefan studierte die Grenzen, Berge und Flüsse, fasziniert von der Weite und Schönheit der Welt. Bald konnte er nicht nur die Hauptstädte des Westbalkans, sondern auch die Europas und aller anderen Kontinente aufsagen. Ahntes er nicht, dass diese Kindheitserinnerung der Ausgangspunkt seiner Lebensreise werden würde.
Stefan ist derzeit Doktorand für Internationale und Europäische Politik an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Belgrad, Serbien. Zusätzlich arbeitet er am Internationalen Institut für Politik und Wirtschaft, wo er in der Forschung zur Politik des Westbalkans tätig ist. Bevor er vor zehn Jahren nach Belgrad zog, lebte Stefan fünfzehn Jahre in Podgorica und Nikšić, Montenegro. Seine Erziehung in vier verschiedenen Städten gab ihm einen natürlichen multikulturellen Hintergrund, dessen sich ihm erst bei Beginn seines Studiums voll bewusst wurde.
Der Entschluss, die schiere Dimension der komplexen und reichen Geschichte der Region zu begreifen, ließ ihn in Frage stellen, ob er eine Identität – oder sogar Nationalität – über die andere wählen müsste. Doch während er mit seiner Familie, Freunden und beruflichen Mentoren diskutierte, verstand er, dass es nicht darum ging, zu wählen, sondern vielmehr darum, die Tatsache zu würdigen, dass alle Orte, an denen er im Westbalkans gelebt hat, dazu beigetragen haben, ihn zu dem vielschichtigen Menschen zu formen, auf den er heute stolz ist.
Diese Erkenntnis hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf ihn persönlich und auf das Potenzial seiner Arbeit. Stefan kam zu dem Schluss, dass es nicht nur die Verantwortung eines Politikwissenschaftlers ist, komplexe Themen und Prozesse auf eine für die Öffentlichkeit verständlichere Weise zusammenzufassen.
Es ist auch die Aufgabe des Forschungsprozesses, soziale, kulturelle und politische Gräben zu überbrücken. Stefan hat diesen Ansatz von Beginn seiner Doktorarbeit an praxisnah gelebt.
Während seiner Recherchen zur Außenpolitik Albaniens im letzten Jahrzehnt entdeckte er, dass es zu diesem Thema nur zwei Artikel in serbischer Sprache gab. Daher nahm sich Stefan die Aufgabe vor, die albanische Sprache zu lernen, um ein tieferes Verständnis zu erlangen und dem Rat seines Mentors folgen zu können: Er behauptete, dass es unmöglich sei, ein wirklich kompetenter Forscher zu werden, ohne Zeit in der örtlichen Gemeinschaft verbracht zu haben, um einen Einblick in die Mentalität der Menschen und ihr tägliches Leben zu gewinnen. Bei der Untersuchung des Berliner Prozesses und der Integration der sechs Westbalkanstaaten in die Europäische Union kam Stefan zu dem Schluss, dass eine ähnliche Entwicklung erkennbar ist. Es ist notwendig, dass der Beitrittsprozess ein integraler Bestandteil des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gefüges der Region wird, damit er von den Menschen nicht als bloßer Beitritt zu einem „Club“ wahrgenommen wird.
In seiner Einschätzung des gegenwärtigen unsicheren Zustands der Europäischen Union und ihrer Aussichten bleibt Stefan positiv eingestellt und schlägt folgende Analogie vor: Jeder erlebt in seinem Leben Zeiten, in denen er sich verletzlicher fühlt. Dies ist ein wesentlicher Teil der Reise, denn nur durch Widrigkeiten können wir neue Bindungen knüpfen, die stärker und tiefer sind. Der entscheidende Punkt ist: Wenn wir einen solchen Prozess mit Widerstandskraft und Entschlossenheit durchlaufen, haben wir die Möglichkeit, einen positiven und verbesserten Weg in eine gemeinsame Zukunft zu schaffen.